«Richtig frei sind wir erst, wenn unsere Eltern tot sind.» Hinter dieser provokativen Aussage steckt eine tiefere Wahrheit: Die Zwiespältigkeit, zwischen dem Bedürfnis nach Identität einerseits und dem Streben nach Unabhängigkeit andererseits. Natürlich ist entscheidend und ausschlaggebend, wie das zwischenmenschliche Verhältnis früher war und wie es im Jetzt ist. Ob jung oder erwachsen, als Kinder unserer Eltern balancieren wir zeitlebens zwischen diesen Extremen. Wir beginnen unsere Existenz als hilflose Wesen, angewiesen auf elterlichen Schutz und Pflege. Die nächsten zwei Jahrzehnte sind wir damit beschäftigt, Selbständigkeit zu erlangen, erst durch Nachahmen der Eltern, später immer häufiger in direkter Konfrontation mit ihnen. Im mittleren Alter werden wir nicht selten zu fürsorglichen Betreuern und begeben uns in eine erneute, freiwillige Abhängigkeit. Ein schlechtes Gewissen führt meistens zu diesem Betreuungsakt. Die Eltern wussten ja immer, wer ihr Kind ist, was es braucht und was es will! Und erwarten für ihr Engagement immer eine Form von Dankbarkeit, auch wenn sie nicht explizit danach fragen. Dabei geht es in erster Linie darum, das eigene Selbstwertgefühl zu bestätigen. Insofern ist die Entscheidung, Kinder zu haben, letztlich ein egoistischer Akt, der jedoch grundsätzlich nicht falsch ist. Wenn es um Altersbetreuung geht, ist der Mann meistens überfordert. Frauen übernehmen diesen Job, jedoch hauptsächlich aus Schuldgefühlen oder auch als Wiedergutmachung. Bei toxischen Eltern werden solche Gefühle mit Absicht geschürt. Diese Art von Manipulation hat frühen Ursprung. Nicht immer geschieht das mit voller Absicht, manchmal haben die Eltern ihr Verhalten einfach von deren Eltern gelernt. Das ist jedoch zu einfach und wird häufig als Ausrede missbraucht. Man kann bewusst Jahre oder Jahrzehnte den Kontakt meiden, spätestens bei einem Todesfall eines Elternteils spielen die Gedanken verrückt. Die bevorstehende Beerdigung wird zur Zerreisprobe. Man hat einfach die Eltern, die man hat. Viele Männer eifern zudem dem eigenen Vater nach, sei es bei der Berufswahl oder im persönlichen Verhalten. Und auch nicht selten sucht der Mann eine Frau, die ähnlich tickt, wie die eigene Mutter.
Männer, die ihre Eltern überhaupt nicht kennen, haben nicht selten existenzielle Identitätskrisen. Ob diese Form der radikalen Eigenständigkeit jenseits von Elternfiguren gleichzeitig nicht auch die ultimative Freiheit bedeutet, muss jeder für sich herausfinden.